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Ex-EZB-Vizechef sieht durch Karlsruher Urteil EZB-Unabhängigkeit in Gefahr
Der langjährige Vizepräsident der Europäischen Zentralbank (EZB), Vítor Constâncio, sieht durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu den Anleihekäufen der EZB die Unabhängigkeit der Notenbank in Gefahr. "Was mir große Sorgen bereitet, sind die Folgen für die Unabhängigkeit der EZB", sagte Constâncio dem "Handelsblatt" (Dienstagsausgabe). Wenn die EZB den Urteilen nationaler Gerichte unterliegen würde, "könnte das die Geldpolitik massiv einschränken". Bei Themen der Geldpolitik, die von den Mitgliedsstaaten auf die europäische Ebene delegiert worden seien, müsse der Europäische Gerichtshof (EuGH) das letzte Wort haben. "Sonst kommen wir in eine unmögliche Situation, wo jeder nationale Gerichtshof das europäische Recht so interpretiert, wie es ihm gerade passt", so der frühere EZB-Vizechef weiter. Das Bundesverfassungsgericht hatte die billionenschweren Anleihekäufe der EZB in der vergangenen Woche als teilweise verfassungswidrig eingestuft und erklärt, der EZB-Rat müsse nun in den nächsten drei Monaten zeigen, dass das Kaufprogramm verhältnismäßig sei. Ansonsten ist es laut dem Karlsruher Urteil der Bundesbank untersagt, an den Käufen teilzunehmen. "Da das Bundesverfassungsgericht nicht für die EZB zuständig ist, gehe ich davon aus, dass sie die Bundesbank anweisen wird, die geforderten Dokumente zu liefern", sagte Constâncio. Zudem forderte er, dass sich die EU-Kommission einschaltet. "Wenn die Bundesbank dazu gezwungen werden sollte, aus den Anleihekaufprogrammen auszusteigen, muss sie ein Verfahren zur Durchsetzung des Europäischen Rechts anstoßen", so der ehemalige EZB-Vizechef weiter. Angesichts der Corona-Pandemie erwartet er in diesem Jahr einen Einbruch der Wirtschaft im Euroraum um zwölf Prozent. Dies werde sich entsprechend auf die Haushaltslage der Euro-Länder auswirken. "Die Haushaltsdefizite werden explodieren", sagte Constâncio dem "Handelsblatt". Er geht davon aus, dass die Verschuldung im Vergleich zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) im Euroraum im laufenden Jahr auf über 100 Prozent, in Deutschland auf gut 70 Prozent und in Italien auf rund 160 Prozent steigt. "Das sind Zahlen wie in einem Krieg", so der frühere EZB-Vizechef. © dts Deutsche Textservice Nachrichtenagentur GmbH
NEWS25-Meldung vom 11.05.2020 - 15:57 Uhr
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